Predigt für den Schuljahresanfangsgottesdienst

Die Geschichte des Volkes Israel, der jüdischen Gemeinde und damit auch der Vorväter des Christentums, ist eine Geschichte von Flucht und der Suche nach Heimat. In der Lesung haben wir vom Auszug aus Ägypten gehört und vom Aufbruch ins Gelobte Land.

Kanaan – während der Knechtschaft unter dem Pharao war es nicht viel mehr, als ein Name und ein Versprechen und doch waren die Menschen bereit, für diesen Schimmer alles zu riskieren und 40 Jahre lang durch die Wüste zu wandern.

Wir leben heute nicht in Sklaverei und doch kennt so mancher das Gefühl, in die Ferne ziehen zu müssen, um anzukommen.
Die Geschichte des Volkes Israel ist eben nicht nur eine Geschichte des Entkommens, sondern in erster Linie die Geschichte eines Ankommens in einer neuen, eigenen Heimat.
Darum soll es uns heute gehen – um Heimat.

Unsere ersten Gedanken dazu sind vielleicht unser Haus, unser Garten der Ort, in dem wir wohnen oder die Region, in der dieser Ort liegt.
Ich glaube, die Momente, in denen einem am deutlichsten bewusst wird, was einem Heimat bedeutet, wo man sich zu Hause fühlt, sind die Momente, an denen man gar nicht dort ist, sondern irgendwo in der Ferne. Die Momente, in denen man sich nach Hause wünscht. Ins eigene Zimmer vielleicht, zu seiner Familie, zu den Menschen, die man liebt. Kurz – eben dann, wenn man Heimweh hat. Heimweh muss sich nicht auf einen Ort beziehen. Man kann Heimweh nach Menschen haben, nach einer bestimmten Tätigkeit, nach dem Gefühl, dazuzugehören oder einem Geruch. Heimat ist eben viel mehr, als nur ein Ort.
Man kann Heimweh haben, wenn man irgendwo allein in Afrika sitzt. Oder im Matheunterricht.

Ich glaube, man kann getrost sagen, dass das israelitische Volk von so etwas wie Heimweh getrieben wurde, während seiner 40jährigen Wanderschaft durch die Wüste. Von der Sehnsucht, nach einem eigenen Land, der Möglichkeit, seine Familie zu ernähren, die eigenen Traditionen und Rituale ausleben zu können und sich heimisch zu fühlen.
40 Jahre sind eine lange Zeit, in 40 Jahren werden Kinder geboren und überleben ihre Eltern. 40 Jahre Wanderschaft, noch dazu durch die Wüste, hält man nur durch, wenn man ein Ziel vor Augen hat und auf Gottes Versprechen vertraut.

Wenn ich in einem fremden Land bin oder auch nur einer fremden Stadt und mich allein fühle, gehe ich gern in Kirchen. Man hat sich schnell orientiert – die Kanzel, der Taufstein, die Orgel. Um einen herum Menschen, die den selben Glauben teilen. Man kann sich hinsetzen, ein Gebet sprechen oder an einem Gottesdienst teilnehmen. Selbst wenn er in einer anderen Sprache ist – man kennt den Ablauf, vielleicht sogar ein paar Lieder, man fühlt sich zugehörig und nicht mehr so sehr allein.
Ich glaube, auch Religion kann ein Stück Heimat sein. Und das schöne ist, Gott findet man überall. Gott war da während der Knechtschaft in Ägypten, er war da beim Auszug, in der Wüste und schließlich im Gelobten Land.

Wer heute flieht, ist selten 40 Jahre unterwegs, aber die Reise ist oft genauso beschwerlich. Ich weiß, dass viele Menschen sie nur wagen und bestehen, weil sie fest auf ihren Gott vertrauen. Ganz unabhängig davon, ob wir ihn nun JHWE, Gott oder Allah nennen. Das Versprechen bleibt das selbe – ich bleibe bei euch.
Dieses Versprechen besiegelt den Bund zwischen Gott und den Menschen und bleibt bis heute bestehen: Ich bin bei euch alle Tage. Ich setze eure Füße auf weiten Raum. Wohin ich euch führe, werdet ihr Heimat finden.

Heimat ist ein Begriff, der in letzter Zeit leider oft kämpferisch gebraucht wird.
Wenn wir an die Pegida-Demonstrationen denken, an die Aufmärsche vor dem Hotel Leonardo, Angriffe auf Mitarbeiter des Roten Kreuzes in Dresden oder die Bilder aus Heidenau – dann sind das Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, ihre Heimat schützen zu wollen.
Wir wissen alle, dass Gewalt keine Lösung ist und der Weg, wie diese Menschen ihre Einwände äußern, ist mir nicht sympathisch. Ich sehe Flüchtlinge nicht als Bedrohung, sondern oft sogar Bereicherung für unsere Heimat und ich sehe sie nicht als Sozialschmarotzer, die uns etwas wegnehmen wollen. In erster Linie sehe ich sie als Menschen, die durch Armut, Verfolgung oder Krieg aus ihren Heimatländern, ihrer Heimat, vertrieben wurden und jetzt ein neues Leben suchen. Als Menschen, die es wert sind, dass wir unsere reiche Heimat für eine gewisse Zeit und wenn notwendig auch länger mit ihnen teilen, soweit das irgendwie möglich ist.

Die Flüchtlinge, die ich persönlich kenne, mussten ansehen, wie ihre Häuser bombardiert wurden, ihre Eltern, Geschwister und Freunde gefoltert oder getötet wurden, wie alles, was sie ihre Heimat nennen, gewaltvoll zerstört wurde.
Und es macht mich traurig zu sehen, wie viele Menschen in Deutschland vergessen zu haben scheinen, dass Heimat kein selbstverständlicher Besitz ist, sondern ein Geschenk. Ein Geschenk, das nicht dadurch erhalten wird, dass man Neues bekämpft, sondern dadurch, dass man menschlich miteinander umgeht.

Ich weiß nicht, wie viele eurer Groß- und Urgroßeltern während und nach dem Krieg vertrieben wurden oder wie viele Eltern die Flucht aus der DDR gewagt haben. Es dürften einige sein. Sie haben alle eine neue Heimat gefunden. Manche von ihnen sind sicher zurückgekehrt, andere sind geblieben.

Wir können nur beten, dass wir nie in eine solche Lage kommen werden, vor allem aber, dass wir später sagen können, wir haben unsere Heimat gegen Hass verteidigt und nicht gegen Schutzsuchende.
Die allermeisten Menschen, die alles riskieren, um nach Europa zu kommen, die sich Schlepperbanden anvertrauen und ihr Leben täglich aufs Spiel setzen, sind auf der Flucht vor Unterdrückung und Terror, sie fliehen aus der Knechtschaft. Mag sein, dass ein paar von ihnen auch „nur“ das gelobte Land suchen. Wer kann es ihnen verdenken?

Ich wünsche uns, dass wir den Schutzsuchenden mit Offenheit begegnen können und ihnen nicht nur Unterkunft, sondern vielleicht sogar ein Stück Heimat geben.
Ich wünsche uns das nötige Vertrauen in die Entwicklungen und in Gott.
Ich wünsche mir, dass ich mich eines Tages nicht mehr schäme zu sagen, dass ich aus Dresden oder Freital komme.
Ich wünsche uns allen, dass wir uns auch in unserer Schule zuhause fühlen und Dankbarkeit empfinden für unsere Heimat.

Amen.